Aus diesem ehemaligen italienischen Industriezuckerstandort wurde ein Bioenergiekraftwerk

Author: Niclas Ohlemann

Die von Giovanni Vaccarini Architetti entworfene Powerbarn versteckt, getarnt als ein moderner Landwirtschaftskomplex, die tatsächliche Funktion und ist ein Beispiel dafür, wie das Zusammenleben von Industrie und Landwirtschaft aussehen kann.

Die Powerbarn von Giovanni Vaccarini Architetti in Russi, Ravenna, Italien, interpretiert den Wandlungs- und Modernisierungsprozess eines Teils eines Industriegebiets, das einst Eigentum der Zuckerfirma Eridania war. Jetzt dient der Komplex als eine Bioenergie-Produktionsanlage.
Das ehemalige Industriegebiet, in dem einst die Eridania Zuckerfabrik untergebracht war, liegt am Rande eines weitreichenden landwirtschaftlichen Gebietes. Ungefähr 280.000 m² des Geländes, darunter drei große Feuchtgebiete, wurden wiederaufbereitet, renaturalisiert und der Gemeinde zurückgegeben. Für einen Teil der verbleibenden Fläche , etwa 167.000 m², läuft ein Konversionsprogramm.

Giovanni Vaccarini Architetti. Powerbarn in Russi (Ravenna), Italien. Foto: Massimo Crivellari

Der Masterplan beinhaltet ein Low-Tech-Umweltsystem, das aus der Planung der Erdarbeiten hervorgeht und als Schnittstelle zwischen dem ländlichen und dem industriellen Bereich dienen soll.
So benutzt der Architekt die vorhandenen Dünen, ein für die Landschaft der Adria typisches Element, als eine Art natürlichen Damm am Rand des Geländes. Anstelle eines Industriezaunes, schuf Vaccarani mithilfe der vorhandenen und neu aufgeschütteten Dünen eine natürliche Begrenzung. Die Dünen haben eine Höhe von 3 bis 10 m und sind von Bäumen und Wegen bsetzt. Es war dem Architekt wichtig etwas für die Gemeinde vor Ort zu schaffen, weshalb die Dünen sowohl für Fußgänger als auch für Radfahrer zugänglich sind.
Um die Auswirkungen der Anlage auf die Umgebung zu minimieren, wurden die Dünen nur mit dem Aushub aufgeschüttet, der bei der Aushebung der Baugruben entstand. Die Dünen sind mit Muttererde bedeckt und bepflanzt.

Giovanni Vaccarini Architetti. Powerbarn in Russi (Ravenna), Italien. Foto: Massimo Crivellari

Das Hauptgebäude, bestehend aus Ofen und Rauchleitung, ist etwa 100 m lang und mehr als 30 m hoch. Der Schornstein, der sich neben dem Ofen befindet, hat eine Höhe von 50 m. Die Biomasseanlage erzeugt eine Leistung von 30 MWe (Megawatt elektrisch) und wird neben Mähresten und Verunreinigungen aus Flussufern vorallem mit Holzhackschnitzeln betrieben. Alle Materialien stammen aus einem Umkreis von 70 km.
Hinter dem Hauptbaukörper befinden sich die Maschinenräume, der große Kondensator und der große Baldachin, unter dem Holzspäne gelagert und getrocknet werden, bevor sie über ein Förderband zum Ofen geführt werden.
Neben der Energieerzeugung aus Biomasse beherbergt das Industriegebiet auch eine Biogasanlage und eine kleine Photovoltaikanlage mit einer Fläche von ca. 1.000 m², die beide zur Erzeugung sauberer Energie beitragen. Die Kompostierungsbereiche und die Biogasproduktionsanlage befinden sich auf der südlichen Seite des Standorts. Der Masterplan umfasst daneben ein Gebäude für Büros, ein Umspannwerk und einen Bereich für die Sammlung von Abwasser.

Das Gebäude, das den Industrieofen enthält, und der angrenzende Schornstein bilden die markantesten architektonischen Strukturen, sowohl hinsichtlich der Größe als auch hinsichtlich ihrer Gestaltung. Entlang der Carrarone-Straße gelegen, wirken ihre Volumina imposant, werden jedoch sowohl durch das Vorhandensein der Dünen, die die Wahrnehmung ihrer Höhe minimieren, als auch durch eine raffinierte Verkleidung, die zu einer Art Kaleidoskop dreieckiger Formen facettiert ist, gemildert.
Was die Aufmerksamkeit des Betrachters wirklich auf sich zieht, ist das facettenreiche Muster eben dieser Verkleidung, das Giovanni Vaccarini für die Außenhaut der beiden Hauptgebäude entworfen hat. Große dreieckige Flächen umhüllen die Volumina des Ofens und des Kamins und verschleiern geschickt ihre Geometrien. Sie bestehen aus Stahlkonstruktionen und sind mit parallel angeordneten Holzpaneelen bekleidet. Das Gewebe aus Holzschindeln folgt keinem einheitlichen Rapport, sondern ändert die Richtung auf jeder Seite und bietet dem Betrachter so eine sich ständig ändernde Erscheinung des Gebäudes, die je nach Blickwinkel, Tageszeit oder Lichtverhältnissen variiert. Die Holzverkleidung ist eine Hommage an die Webkunst und die nomadische Architektur.

Giovanni Vaccarini Architetti. Powerbarn in Russi (Ravenna), Italien. Foto: Massimo Crivellari

Um diesen Entwurf zu konzipieren, griff Giovanni Vaccarini auf eine kubistisch inspirierte Technik der militärischen Tarnung zurück, die während des Ersten Weltkriegs in der Marineindustrie entwickelt wurde. Diese, als Razzle Dazzle bekannte Technik, wurde ursprünglich als Tarnung konzipiert und verwendet, um die Ortung und das Erkennen britischer Schiffe trotz ihrer beträchtlichen Größe zu erschweren. Prinzipien der Dazzle-Camouflage, bzw. des Razzle Dazzle, sind das Blenden und Verwirren. Dabei werden geometrische Formen die sich in kontrastreichen Farben abwechseln, in komplexen Mustern aneinander gereiht.

„Unsere Absicht war es, etwas Ähnliches wie eine natürliche Bastion, fast schon eine einzige lange Düne, entlang des Randes des Gebiets zu schaffen, das jetzt zum Standort für die Energieerzeugung umgebaut wurde. Dies soll ein Element darstellen, das eng mit den ökologischen Funktionen seiner Umwelt verbunden ist. Es war uns wichtig, keine Barriere zu kreieren, sondern ein funktionales Element, das unsere Designabsichten zum Ausdruck bringen würde, um ein durchlässiges, zugängliches und lebendiges Element zu schaffen.“ G. Vaccarini, Architekt

Giovanni Vaccarini Architetti. Powerbarn in Russi (Ravenna), Italien. Foto: Massimo Crivellari

Dieses Konzept steht im Einklang mit der Gesamtidee, die Auswirkungen des Projektes auf die Umwelt zu minimieren. Mit diesem Projekt in Russi wird das Portfolio von Giovanni Vaccarini Architetti durch eine neue wichtige Erfahrung bereichert. Ein äußerst herausforderndes Thema wurde mit Kompetenz und Sensibilität für die Umwelt interpretiert und umgesetzt. Entstanden ist ein bemerkenswertes Beispiel zeitgenössischer italienischer Architektur.

 

 

Bilder: Massimo Crivellari
Skizzen: Giovanni Vaccarini
Herausgeber: Dipl.-Ing. Architekt BDA Andreas Thiele